IBA-Präsident Umar Kremlev

Boxen | Präsidentschaftswahlen bei IBA Olympisches Boxen: Showdown neben dem Ring

Stand: 10.05.2022 08:50 Uhr

In Istanbul laufen die Weltmeisterschaften der Frauen im olympischen Boxen. Doch das größere Drama spielt sich neben dem Ring ab. Bei den Präsidentschaftswahlen des Weltverbands IBA am Freitag (13.05.2022) entscheidet sich wohl, ob Boxen olympisch bleibt.

Von Jens Walbrodt

Mythen über Boxer gibt es viele. "You can’t step into the ring and be a nice guy" ist so einer. Nette Typen steigen in keinen Boxring. Der Überlieferung nach stammt dieser Satz von der US-Mittelgewichtslegende Jake LaMotta. Und "Bad Guys" waren ja seit jeher Publikumsmagneten im Boxen. Dabei stellte sich oft eher eine andere Frage: Stehen die echten "Bad Guys" wirklich im Ring? Oder sitzen sie an der Spitze der Verbände?

Fragwürdige Präsidenten im Weltverband

Jake LaMotta war Profiboxer, und dieses Business steht in der Öffentlichkeit notorisch unter dem Verdacht des Zwielichtigen. Doch auch der Blick auf den olympischen Teil der Sportart förderte immer wieder abenteuerliche Geschichten zutage - von Präsidenten, die der organisierten Kriminalität zugerechnet wurden, bis hin zu Putin-Vertrauten mit fragwürdigem Ruf an der Spitze. Das ist Umar Kremlev, der aktuelle Präsident des Weltverbands.

Verband vom IOC suspendiert

Keine drei Jahre ist es her, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Boxverband suspendierte. Ein erdrückender Schuldenberg, verschobene Kämpfe, zweifelhafte Funktionäre: Boxen wurde auf die Streichliste des olympischen Katalogs gesetzt. Das Turnier in Tokio organisierte das IOC lieber selbst, ohne den Verband.

Umar Kremlev: Zwielichtiger Reformtreiber

Seitdem ist viel passiert im olympischen Boxen. Umfassende Reformen wurden auf den Weg gebracht. Doch der Weltverband "IBA", früher "AIBA", stand zwischenzeitlich von Insolvenz bedroht am Rande der Auflösung. Dann wurde der Russe Kremlev zum Präsidenten gewählt - und löste auf Anhieb das drängendste Problem: die Schulden.

Gazprom entschuldete den Weltverband

Seine Kontakte führten zu einem Sponsoring-Deal mit Gazprom, die Geldnöte im Boxen waren plötzlich passé. Und auch im deutschen Verband schwenkte die anfänglich ablehnende Haltung gegen Kremlev um in Anerkennung für das Geleistete - dem höchst fragwürdigen Ruf des Präsidenten zum Trotz.

Wahlen im Schatten des Krieges gegen die Ukraine

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar ist die Welt nicht mehr, wie sie über Jahrzehnte war. Die meisten Sport-Sponsoringverträge mit Gazprom außerhalb Russlands wurden kurzfristig beendet. Doch Im Boxen läuft der Deal noch immer. Auch bei der aktuell laufenden WM der Frauen findet sich das Logo des russischen Staatskonzerns überall.

Verband hängt am Tropf von Gazprom

"Würde der Gazpromvertrag gecancelt, wäre der Sportbetrieb sofort beendet", sagt Michael Müller im Sportschau-Interview. Müller ist Sportdirektor beim Deutschen Boxsport-Verband (DBV) und Vorsitzender des Wettkampfkomitees im Weltverband. "Tritt jemand auf und sagt, 'ich habe einen Ausgleich', haben wir eine völlig neue Situation."

Kremlev steht erneut zur Wahl

Doch wer soll das sein? Der Niederländer Boris van der Vorst ist der einzige Gegenkandidat von Umar Kremlev und hat bislang keinen "Ersatzsponsor" präsentiert. Kremlev wird dagegen weiter auf das Gazprom-Geld zählen können. Das bringt die Delegierten in eine komplizierte Lage.  

Wahl maßgebend für IOC-Entscheidung

Die Wahlen sind der letzte Schritt der Reformagenda, um das IOC zur Rehabilitation des Verbands zu bewegen. Die Integrität des leitenden Personals war eine wichtige Forderung. "Der niederländische Kandidat wird sich sicher noch zur Finanzfrage äußern", sagt Michael Müller. "Und es ist ja auch kein Geheimnis, dass auf den IOC-Konten noch knapp 30 Millionen Euro Fernsehgelder eingefroren sind, die eigentlich dem Weltverband zustehen".

Deutscher Verband bekennt sich nicht klar

Wie der deutsche Verband dabei votieren wird – ein öffentliches Bekenntnis gibt es nicht. Auch eine Wahl Kremlevs schließt Müller nicht aus: "Wir haben uns verabredet, keine Auskunft darüber zu geben. Sie können davon ausgehen, dass wir genau wissen, welcher Verantwortung wir uns zu stellen haben und richtig wählen werden". Das mag verbandspolitische Taktik vor der Wahl sein. Dem Sport hilft es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gerade.

Schatten liegt auf dem Sport

Stefanie von Berge will das Thema am liebsten ausblenden: "Ich bin Sportlerin und kann mich dazu gar nicht äußern", sagte die Sprecherin des deutschen Teams kurz vor dem Beginn der Frauen-WM in Istanbul im Sportschau-Interview. Die ewigen Querelen rund um den Weltverband nerven die Aktiven schon lange, das konnte man in den vergangenen Jahren immer wieder hören. Der Sport stehe viel zu selten im Mittelpunkt, lautet der Tenor.

Zukunft des Boxens bei Olympia ist offen

Stefanie von Berge redet lieber über die WM in Istanbul oder ihren großen Traum von der olympischen Medaille. Die Chancen, eine solche als Frau zu gewinnen, sind durch die Reformen im Weltverband theoretisch deutlich gestiegen. Unter anderem wurden die Zahl der Gewichtsklassen und der Quali-Plätze für Frauen bei Olympischen Spielen an die der Männer angeglichen.

Doch ob von Berge davon wirklich profitieren kann, wird auch bei den Wahlen am Freitag entschieden. Eine Wiederwahl des Putin-treuen Kremlev kann das IOC in der aktuellen Lage kaum akzeptieren. Doch der Ausgang der Wahl scheint offen. Sicher ist: Gewinnt der "Bad Guy", verliert der Sport. Auch wenn das im Boxen eigentlich ja keine Selbstverständlichkeit ist.